Caspar Schärer (CS) Wettbewerbe brauchen Vorbereitung und Begleitung. Wie läuft diese Prozedur konkret ab?
Jachen Könz (JK) Als erstes gilt es, die Bedürfnisse des Bauherrn zu verstehen und zu klären. Manche Bauherren sind professionell aufgestellt: Sie haben Abklärungen getroffen und eine Vorstellung davon, von was sie wieviel wollen. Oft genug ist das allerdings nicht der Fall. Als Koordinator eines Wettbe-werbs muss ich dem Bauherrn zuhören und unter Umständen nachfragen. Woher genau kommt die Anzahl Quadratmeter, wozu braucht es diese Halle, stimmt der Bauplatz oder gäbe es Alternativen? Und – ganz wichtig: Passen Wünsche und Budget zusammen? Sollten all diese Aspekte noch nicht klar sein, empfehle ich, eine Machbarkeitsstudie durchzuführen.
CS Wie geht es weiter, wenn die Bedürfnisse abgeklärt sind?
JK Aus der grundsätzlichen Machbarkeit folgt ein Raumprogramm und daraus wiederum ein Wettbewerbsprogramm. Weiter muss die Prozedur bestimmt werden, also welches Verfahren angewendet werden soll. Ein immer wieder aufkommendes Thema ist jenes der Anonymität und der selektiven Teilnahme. Ich plädiere für offene Verfahren, in denen die Anonymität der Verfassenden gewahrt bleibt. Bei aller Ungewissheit muss es um die Sache gehen und nicht um Personen.
Die Bauherren hingegen wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Sie sind verunsichert über den Kontrollverlust, der mit der Anonymität verbunden ist. Meine Aufgabe als Koordinator ist es, diese Bedenken ernst zu nehmen und eine auf sachliche Kriterien basierende Argumentation zu führen. Ein weiterer, immer wieder diskutierter Aspekt ist die Zusammensetzung der Jury – nicht unbedingt betreffend die einzelnen Personen, sondern betreffend die Vorgabe in der Ordnung SIA 142 der Überzahl der Fachjurorinnen und -juroren. Dies führt oft zu Irritationen in der Annahme, der Bauherr würde durch die Architekten überstimmt. Wir müssen das auch verstehen: Die Bauherrschaft gibt bei einem anonymen, korrekt durchgeführten Architekturwettbewerb einige Schlüsselkompetenzen an einen Prozess ab, der eine Eigendynamik annehmen kann und dessen Ausgang unvorhersehbar ist. Dass genau dies das Potenzial des Projektwettbewerbes sein kann, verlangt Vertrauen und Seriosität in der Beurteilung. Insofern verwundert es nicht, dass die Vorbereitungen Zeit brauchen.
CS Über welche Qualifikationen sollten Architektinnen und Architekten verfügen, die Wettbewerbe vorbereiten und begleiten?
JK Zunächst einmal: Sie sollten eigene Erfahrung mit Wettbewerben mitbringen, also an Verfahren teilgenommen haben, was nicht selbstverständlich ist. Im Feld der Wettbewerbsbegleitung tummeln sich etliche Akteure, die nie selbst auf der Seite der Teilnehmenden standen. Ich halte das für eine ungute Entwicklung und deshalb setze ich mich dafür ein, dass Architektinnen und Architekten aufgrund ihrer Fachkompetenz eingesetzt werden, um diese wichtige Aufgabe zu übernehmen.
Dabei übernimmt man eine Rolle, nämlich jene des Koordinators, der Koordinatorin. In dieser Rolle steht man zwischen Bauherrn und Planer; man wird zum Bauherrenvertreter dank der Fachkenntnisse der anderen Seite. Diese besondere Position muss ich den Kolleginnen und Kollegen immer wieder deutlich machen. Als Koordinator unterstütze ich den Bauherren in Bereichen, in denen er sich nicht unbe-dingt gut auskennt. Dazu braucht es Fachkenntnis, Bescheidenheit und Empathie. Ich war viele Jahre lang Präsident der Commissione Concorsi Ticino (CCTi), eine Kommission des SIA Ticino. Das Thema der Wettbewerbsvorbereitung und -begleitung hat uns stark beschäftigt. Wir haben Kurse für Architektinnen und Architekten organisiert, damit sie sich auf diese spezielle Rolle vorbereiten können.
CS Aus Deinen Schilderungen kristallisiert sich ein zentraler Begriff heraus, jener des Vertrauens. Wie gewinnst Du das Vertrauen der Bauherrschaften?
JK Ich habe es vorhin schon erwähnt: Zuhören steht ganz am Anfang. Und ernst nehmen. Wir Architektinnen und Architekten haben den Ruf, uns nur um Ästhetik zu kümmern. In dem Bereich können die Bauherren nicht gleich kompetent mitreden. Das verunsichert sie, in der Meinung, ihre Anliegen würden dabei nicht berücksichtigt. Ich erkläre ihnen, dass Architektur durchaus einiges mit Ästhetik zu tun hat, aber eben auch mit Funktionalität, Technik, Konstruktion, Material, Bauprozess und auch Kosten. Wer Architektur macht, muss zuverlässig und seriös sein!
Zu dieser Seriosität gehört, dass ich die Bauherrschaft auf Probleme durch Fragestellungen aufmerk-sam mache und nicht einfach alles abnicke, nur weil sie meine Auftraggeberin ist. So stelle ich etwa überzogene Raumprogramme zur Diskussion oder Budgets, die nicht dazu passen wollen. Das ist für die Bauherrschaft manchmal unangenehm, aber es muss sein, um später Enttäuschungen zu vermeiden. Indem ich kritisch bin, stelle ich Vertrauen her. Ich signalisiere damit, dass ich im Sinne der Bauherr-schaft und der Sache handle.
CS Auf was ist beim Prozess einer Jurierung zu achten?
JK Fachpreisrichterinnen und -richter unterstützen die Bauherrschaft und die Sachjury darin, das beste Projekt zu finden. Sie sind dazu da, eine fachliche Bewertung durchzuführen. Am Anfang einer Jurierung lesen sie die Pläne und erklären die Projekte. Das ist eine Übersetzungsarbeit, die Fachkompetenz erfordert. Auch Fachjurorinnen und -juroren übernehmen eine ganz spezifische Rolle. Sachlichkeit ist dabei ein ganz zentraler Punkt. Emotionale Debatten über innerarchitektonische Themen, von denen die Bauherrschaft nichts versteht, machen keinen guten Eindruck.
Wichtig für mich ist auch: Eine Jury ist eine Jury. In einer Jury gibt es kein «Ich». Es geht nicht primär darum, eine bestimmte Vorstellung von Architektur durchzusetzen, sondern gemeinsam im Dialog eine Wahl treffen zu können. Dank der Diskussion und durchaus auch einer Auseinandersetzung gelangt die Jury gemeinsam einer Empfehlung und trägt diese dann im Kollektiv. Eine Jury führt ein seriöses Gespräch und hilft der Bauherrschaft, Entscheidungen zu treffen, die sie schliesslich verantwortet.
CS Was zählt an den Jurytagen?
JK Als Koordinator muss ich führen. Dies muss aber in einem Gleichgewicht erfolgen zwischen meist überzeugten und überzeugenden Architektinnen und Architekten – wenn auch nicht immer in Einigkeit – und in Begründungsnot etwas verunsicherten Sachpreisrichterinnen und -richtern der Bauherrenseite. Oft entsteht eine Eigendynamik, die jedoch zur Prozedur gehört. Manchmal geht es hoch zu und her. Dann muss ich eingreifen und die Diskussion zwischen den Parteien und Interessen zulassen und zugleich steuern – für die Bauherrschaft und das Projekt.
Vor allem aber braucht es Zeit und Raum. Eine Jury muss sich um eine Wettbewerbspräsentation versammeln können; darum können wir nicht in einem engen Korridor im zweiten Untergeschoss jurieren. Als Koordinator sorge ich dafür, dass die Projekte anständig präsentiert werden. Und dann müssen eben die Diskussionen ausgestanden werden, bis alles erklärt und verstanden ist. Gut möglich, dass es manchmal länger dauert als vorgesehen, aber während der Jurierung tauchen unter Umständen neue Fragen auf, die bis anhin nicht oder zu wenig beachtet wurden. Solange es um die Sache und die Qualität geht, müssen wir uns die Zeit dafür nehmen.
Und schliesslich ist die Jurierung ein wichtiger Prozess der Meinungsbildung, während dem die Bauherrschaft durch die Unterstützung der Fachleute ein Projekt zu Eigen macht – dank einer überzeugenden Argumentation, die erlaubt, das gewählte Projekt in die Umsetzung weiterzutragen.
Jachen Könz, Architekt ETH SIA BSA mit eigenem Büro in Lugano; 2004-2020 Präsident der Commissione Concorsi Ticino (CCTi); Vertreter des BSA in der Arbeitsgruppe der Planerverbände, die 2023 die «Empfehlungen für Jurymitglieder in Vergabeverfahren» erarbeitete.