Caspar Schärer (CS) Mike Guyer, welchen Stellenwert haben Wettbewerbe im Büro Gigon / Guyer Architekten?
Mike Guyer (MG) Sie sind enorm wichtig: einerseits, um sich in der Architektur inhaltlich weiterzu-entwickeln und natürlich auch, um an Aufträge zu kommen. Wettbewerbe sind für uns ein Freiraum, in dem wir Themen ausprobieren, erforschen und über mehrere Projekte weiterentwickeln können. Es ist ein konstantes Abwägen zwischen Experiment und Angemessenheit. Wettbewerbe versetzen uns in einen andauernden Zustand von kreativer Anspannung, des Suchens und Lernens.
Ludovica Molo (LM) An wie vielen Wettbewerben habt Ihr bisher teilgenommen?
MG In den letzten 35 Jahren waren es rund 255 Wettbewerbe. Davon konnten wir 51 gewinnen und es gab ungefähr 80 Preise. In den 1990er und 2000er Jahren feierten wir viele Wettbewerbserfolge, danach gab es abwechselnd schlechtere und bessere Perioden. Im Schnitt machen wir 6 bis 12 Wett-bewerbe pro Jahr. Die Anzahl hängt mit der Grösse der Verfahren und der Anzahl Bearbeitungsstufen zusammen, die wir durchlaufen müssen.
CS Was bedeutet es finanziell, an 6 bis 12 Wettbewerben pro Jahr teilzunehmen?
MG Wir brauchen heute ungefähr 1400 Stunden für einen Wettbewerb, für grosse Verfahren können es aber gut doppelt so viele Stunden sein. Das heisst wir investieren mit 4-6 Architekt:innen rund 12’000 Stunden im Jahr, was für ein Büro mit 30 Mitarbeiter:innen ein grosser Aufwand ist.
LM Wurde Euer Büro wegen eines Wettbewerbs gegründet? Das ist ja oft ein Grund, um sich dauerhaft zusammenzutun.
MG Wir haben beide an der ETH studiert und bei Dolf Schneebeli diplomiert. Annette blieb in der Schweiz und arbeitete unter anderem bei Herzog & de Meuron, während ich für drei Jahre zu OMA nach Rotterdam ging. Schon in Holland begann ich, an Wettbewerben teilzunehmen. Wieder zurück in Zürich war ich Teil einer Ateliergemeinschaft im Steinfels-Areal in Zürich-West und wir beteiligten uns in verschiedenen Konstellationen an Wettbewerben. Der Gewinn des Wettbewerbs für das Kirchner-Museum in Davos, den Annette und ich zusammen machten, führte dann 1989 zur Bürogründung.
CS Wettbewerbe als solche kanntest Du ja schon früher, als Sohn einer Architektin und eines Architekten…
MG In meiner Jugend konnte ich meine Eltern beobachten, wie sie über ein Wochenende einen Wett-bewerb in den Grundzügen aufzeichneten und ihn in den folgenden zwei Wochen im Büro ausarbeiten liessen. Die Gebäude waren gleich gross wie heute, aber die Anforderungen deutlich niedriger und der Aufwand dementsprechend kleiner.
LM Entscheidend war offensichtlich die Idee…
MG Ja, der Fokus lag hauptsächlich auf einer städtebaulichen und architektonischen Idee, wie man das geforderte Raumprogramm an einem Ort umsetzt. Die Pläne wurden von Hand gezeichnet, die Abgaben waren persönlicher und oft auch künstlerischer – allein die grossformatigen Perspektiven waren teil-weise schon sehr beeindruckend.
LM Wie blickst Du nach all diesen Jahren auf das Wettbewerbswesen?
MG Obwohl das Wettbewerbssystem manchmal frustrierend und ermüdend ist – vor allem während Perioden, in denen man nichts gewinnt – betrachte ich es als Privileg, Projekte für die wichtigen Bau-aufgaben der Gegenwart in Wettbewerben erarbeiten zu können. In anderen europäischen Ländern gibt es diese Möglichkeiten in diesem Ausmass nicht. Der Wettbewerb bedeutet eine Investition, gibt aber auch die Freiheit, während einer gewissen Zeit ein Projekt ungestört und intensiv erarbeiten zu können. Oft entwickeln sich Themen über mehrere Projekte hinweg und die Lösungen werden vielfältiger und raffinierter. Die Wettbewerbe spiegeln die aktuellen Themen der Gegenwart und bringen manchmal erstaunliche Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit hervor.
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