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Formsperrholz – Material Struktur Raum – werk, edition

Vorwort: In das Material hineinhören

Thomas SchregenbergerPublikation bestellen

Louis I. Kahn soll seinen Studierenden jeweils nahegelegt haben, beim Entwerfen das Material um Rat zu fragen. Diese Idee bezieht sich auf das meist inspirierende, fordernde und zuweilen auch schwierige Verhältnis der Entwerfenden zum Material. Kahn bezieht sich auf das Machen von Architektur, in diesem Fall auf das Fügen von Ziegel­steinen, das sich über mehrere tausend Jahre hinweg zu einer Technik und einer Kultur verfeinert hat. Es ist eine vielschichtige Entwick­lungsgeschichte, auf die wir Architektinnen und Architekten jederzeit zurückgreifen können. Sie stellt einen sehr umfangreichen Fundus für Technik und Form dar.

«Eine der schönsten Denkfiguren der Antike», so Michael Mönninger, «kreist um den Begriff Entelechie». Das ist eine von Aristoteles ent­wickelte Vorstellung, dass jedem Stoff eine Kraft innewohnt, die ihn zu einer idealen und optimalen Formbildung im Sinne seiner Selbstver­wirklichung treibt. Man könnte es auch zeitgemäss als die Selbstorgani­sation der Materie bezeichnen oder als ihre morphogenetische Dimension, die vom Handwerker und Künstler gleichermassen fordert, «ins Material hineinzuhören.» Hier setzt auch die Diskussion in der heutigen Materialwissenschaft ein, die das selbst­transformative Potenzial von Material untersucht.

Im Gegensatz zu Ziegel oder Stein, die hauptsächlich auf Druck belastet werden können, ist Holz, das Material, um das es in der vorliegenden Forschungsarbeit geht, sowohl auf Druck als auch auf Zug belastbar. Seine Entwicklungsgeschichte als Baumaterial ist ebenso alt wie jene des Ziegels und des Steins, sei es in der Blockbauweise, wo liegende Hölzer vergleichbar einer Mauer aufeinandergeschichtet und an den Ecken der Wände miteinander verkämmt oder verblattet werden, oder als stabförmige Elemente, die in einer bewegten Entwicklungs­geschichte zu immer raffinierteren Konstruktionen zusammengefügt wurden. Mit der fortschreitenden Industrialisierung und den damit verbundenen Veränderungen im Bauwesen wurden schliess­lich zunehmend Holzwerkstoffe verwendet, eine fortlaufende Entwick­lung, die bis heute anhält.

Formsperrholz, um dessen Potenzial es in dieser Arbeit geht, ist ein leistungsfähiger Werkstoff aus Holz, dessen besondere Materialeigen­schaften sich aus einer gezielten Anordnung der Holzfasern ergeben. Hergestellt in einem industriellen Verfahren, besteht der Werkstoff aus mehreren Schichten zusammengepresster Furniere, bei denen in der Regel die Faserrichtung der aufeinanderfolgenden Furnierschichten in unterschiedliche Richtungen verläuft. Dabei entsteht das Absperren der Furniere, so dass das in eine bestimmte Form gepresste Holz form­beständig und stabil bleibt. In der nun vorliegenden Studie wird auf­gezeigt, wie diese Technik, deren ausgeprägte plastische Erscheinung wir vor allem von Möbeln und insbesondere von Stühlen kennen, nun auch für Tragstrukturen genutzt werden kann.

Schon ein erster Blick auf die abgebildeten Modelle und Darstellungen der Arbeit macht das räumlich-architektonische Potenzial des Materials sichtbar. In einer Serie architektonischer Explorationen werden einige grundsätzliche Ideen veranschaulicht: modulares Prinzip, aufgelöstes System, komponierte Grossform, additive Ordnung, kontinuierliche Membran. Das Resultat ist eine Sammlung von Möglichkeiten, wie Form­sperrholz als Tragstruktur in der Architektur eingesetzt werden kann, ein nützlicher Fundus an Systemen und Formen, die auf den spezifi­schen Eigenschaften von Formsperrholz basieren. Die Forschungsarbeit soll aber letztlich vor allem dazu anregen, selbst ins Material Form­sperrholz «hineinzuhören» und eigene Spielregeln zu entwickeln, um neue Strukturen und Räume zu schaffen, ganz im Sinne von Louis I. Kahns Aufforderung, das Material zu Rate zu ziehen.