Caspar Schärer: Frau Schumacher, Sie untersuchten kürzlich mit einem interdisziplinären Forschungsteam an der FHNW die Anwendung der BIM-Methode in kleinen Architekturbüros in der Schweiz? Wie kam es überhaupt zu diesem Projekt?
Christina Schumacher: Ein wichtiger Auslöser waren Unterhaltungen mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Architektur. Das mag jetzt nicht repräsentativ sein, aber praktisch alle waren sehr skeptisch gegenüber BIM. Andererseits lese und höre ich sehr viel über das Thema, gerade bei uns an der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik an der FHNW, an der auch das Institut Digitales Bauen mit seinem profilierten Leiter Manfred Huber angesiedelt ist. Gleichzeitig wissen wir, dass über neunzig Prozent aller Architekturbüros in der Schweiz sehr klein sind, also zehn Mitarbeitende und weniger. Diese breite Diversität ist eine der Stärken und Stützen der Baukultur in der Schweiz. Und, dies ist ganz wichtig: Die Architekturbüros, obwohl sie klein sind, haben dennoch verhältnismässig viel Gestaltungsspielraum im Planungs- und Bauprozess. Uns beschäftigte nun, wie die kleinen Architekturbüros mit der Herausforderung BIM umgehen.
Wie sind Sie vorgegangen?
Es war eine qualitative Studie mit Interviews, und zwar ausschliesslich mit Büros, die eine Beziehung zum Digitalen schon hergestellt haben. Wichtig war uns, dass auch die Westschweizer Architekturszene berücksichtigt wird. Die Gespräche wurden mit Verantwortlichen aus der Geschäftsleitung geführt; meistens waren es die Geschäftsinhaberinnen und -inhaber selber.
Über welche Themen haben Sie mit den Architektinnen und Architekten gesprochen?
Eine Frage betraf die Verantwortung: Wer übernimmt die digitalisierte Arbeit? Daraus folgt die Anschlussfrage, wie das digitale Wissen angeeignet wird. Die beiden Fragen hängen eng voneinander ab und hier zeigen sich die Unterschiede zwischen grösseren und kleineren Büros besonders deutlich. Wenn etwa ein Mitarbeiter eines kleinen Büros in eine Schulung geschickt wird, hat eben nur er das entsprechende Wissen. Er wird damit wertvoll – aber natürlich auch für andere Büros. Sobald er einem besseren Angebot folgt, ist das Wissen weg. Deshalb sollte sich unbedingt eine Person aus der Geschäftsleitung das Wissen aneignen, am besten eine der Partnerinnen.
Das Digitale sollte also Chefsache werden.
Ja, genau. Und dies, weil es sich nicht «nur» um eine neue Technologie handelt, sondern um eine Methode. Mit BIM wird früher und enger zusammengearbeitet. Interdisziplinäres Arbeiten setzt wiederum eine bestimmte Kultur beziehungsweise Firmenkultur voraus. Eine Änderung der Firmenkultur muss von oben erfolgen.
Arbeiten Architekturschaffende nicht sowieso schon seit immer interdisziplinär, indem sie sich zuerst mit Fachplanern, dann mit Bauhandwerkern zusammentun, um gemeinsam ein Gebäude zu realisieren?
Da ist was Wahres dran, richtig. Für eine gute Zusammenarbeit braucht es bestimmte Kompetenzen, die bei den Architektinnen und Architekten zum Teil schon weit entwickelt sind. So können sie etwa auf einen grossen Erfahrungsschatz von Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Gewerken zurückgreifen. Es bestehen darüber hinaus ganz viele verschiedene Formen von Kooperationen mit anderen Büros oder Partnern. In der digitalen Transformation braucht es aber noch etwas mehr Bereitschaft, die anderen früher am Prozess teilhaben zu lassen.
Was hat ein kleines Büro denn davon, wenn es die Fachplanerinnen und Handwerker noch früher konsultiert?
Die kleinen Büros könnten viel stärker Akteure in dieser Transformation sein. Sie bringen die kurzen Wege mit, auch zu den Fachplanern und Unternehmerinnen. Wer also zum Beispiel in Erwägung zieht, mit Holz zu bauen, kommt mit Unternehmen in Kontakt, die in der Regel schon ziemlich fortgeschritten sind in der Digitalisierung. Auf diesem Weg könnte ziemlich schnell und direkt digitales Know-how ins Büro einfliessen. In unserer Forschung hat sich gezeigt, dass dies häufig der Fall ist. Der Anstoss für einen Transformationsschritt kommt bei den kleinen Büros oft von aussen; sie entscheiden sich dann aber auch ganz konkret dafür. Es gibt viele Möglichkeiten, digitaler zu werden, man muss nicht gleich von Anfang an alles machen. Wir verwenden dafür das Bild des Blumenstrausses, aus dem sich das Büro projektspezifisch diejenige Blüte pflückt, die sich anbietet.
Was konnten Sie sonst noch beobachten bei Ihrer Befragung?
Interessant ist die Strategie, sich beim Wissensaufbau zu vernetzen. Die kleinen Büros können es sich nicht leisten, sich vollständig in die Abhängigkeit einer Softwarefirma zu begeben. Deshalb bauen sie Wissensnetzwerke auf und tauschen sich untereinander über konkrete Anwendungsfragen des Alltags aus. Ich habe den Eindruck, dass diese Art, sich informell und zugleich pragmatisch zu verbinden, eine besondere Qualität der Architekturbüros ist, und ganz speziell der kleineren Büros.
Christina Schumacher hat in Zürich, Bologna und Berlin Soziologie studiert und in den 1990er Jahren in verschiedenen Forschungsinstitutionen gearbeitet, u.a. zum Geschlechterverhältnis im Architekturberuf. Seit 2001 lehrt sie Soziologie an Architekturhochschulen; während neun Jahren als Dozentin am Departement Architektur der ETH Zürich, seit 2010 als Professorin am Institut Architektur der Fachhochschule Nordwestschweiz, wo sie auch die Forschung leitet. Als freischaffende Architektursoziologin ist sie in zahlreichen Planungsverfahren und Beurteilungsgremien tätig, seit 2015 ist sie Präsidentin der Stiftung für eine hindernisfreie Architektur und vor Kurzem hat sie ein DAS-Studium in Raumplanung an der ETH Zürich abgeschlossen.