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Formsperrholz – Material Struktur Raum – werk, edition

Das andere Holz

Lukas IngoldPublikation bestellen

Formsperrholz ist ein äusserst vielfältiges Material, das sich zur Gestal­tung sowohl von Tragstrukturen als auch von Räumen anbietet. Im Rahmen des BSA-Forschungsstipendiums werden auf verschiedenen Ebenen die zahlreichen Möglichkeiten untersucht, die sich aus der Nutzung von Formsperrholz in der Architektur ergeben. Ein Teil der Arbeit besteht aus einer Analyse der facettenreichen Eigenschaften des Werkstoffs: Die Betrachtung umfasst sowohl architektonische Fragen als auch historische, wirtschaftliche, techni­sche und kulturelle Hintergründe. Die Auseinandersetzung bietet Einblicke in die Entstehung des Werkstoffs und die Herausbildung seiner spezifischen Merkmale. In einem zweiten Teil wird anhand einer explorativen Entwurfsforschung nach Anwendungsmöglichkeiten für Formsperrholz in verschiedenen Massstäben und in unterschied­lichen architektonischen Szenarien gesucht. In diesen Zusammenhang werden auch die entwurfsrelevanten Herausforderungen und Poten­ziale dargelegt. Das Forschungsprojekt soll dazu anregen, eine neue Perspektive auf das Baumaterial Holz einzunehmen.

Neue Materialität

Vor dem Hintergrund der umfangreichen Verarbeitungsmöglichkeiten von Holz und der daraus produzierten Werkstoffe erscheint es nahe­liegend, die grundsätzlichen Betrachtungen bei den Fasern zu beginnen. Bei der Herstellung von Formsperrholz lassen sich die Fasern des Holzes neu «komponieren» und zu einem Werkstoff mit gesteigerter Festigkeit zusammenfügen. Gleichzeitig erlauben die dafür entwickelten Verfahren, eine Vielfalt an komplexen Formen zu erzeugen. Neben den konstruktiven und strukturellen Möglichkeiten, die vor allem von technischem Interesse sind, offenbaren materialspezifische Eigen­schaften wie die Kontinuität und die Plastizität ein beachtliches ästhe­tisches Potenzial. Formsperrholz kann deshalb sowohl als struktureller als auch als raumbildender Werkstoff genutzt werden. Die eingehende Auseinandersetzung mit diesem Werkstoff ermöglicht es, nach neuen Anwendungsbereichen und Ausdrucksformen für Holz in der Architektur zu suchen und aufkommende Fragen nach einer «neuen Materialität» für diesen natürlich nachwachsenden Baustoff zu thematisieren.

Holz ist aufgrund seiner natüprlichen Zellstruktur ein stark anisotropes Material. Skizze: Lukas Ingold

 


Tradition und Transformation

Bis heute gründet das Bauen mit Holz grösstenteils auf stabförmigen Elementen und einer additiven Fügungslogik. Bestimmt durch die ressourcenbedingten Zwänge, festigte sich die Tradition des Zimmerer­handwerks mit seinen erprobten Techniken und Verfahren über die Jahrhunderte hinweg.1 Seit dem frühen 20. Jahrhundert erfuhr dieses Gewerbe jedoch eine starke Transformation durch industrielle Prozes­se,2 angefangen bei der Entwicklung des verleimten Brettschichtholzes durch das Patent von Otto Hetzer (1906)3 bis hin zu den digital gesteuerten Fertigungsprozessen der letzten Jahre. Trotz dieser Umwäl­zungen gibt es nur wenige Ansätze, Tragwerke aus Holz flächig aus­zubilden – auch wenn solche Konzepte im Vergleich zu herkömmlichen, stabförmigen Tragwerken sehr materialeffiziente Alternativen darstel­len könnten.4

Schälen eines Stammes zur Herstellung von Schläfurnier. Bild: Lukas Ingold
Gestapelte Furniere nach dem Schälvorgang. Bild: Lukas Ingold

Zur Gestaltung flächig ausgebildeter Tragwerke würde sich Sperrholz, und insbesondere Formsperrholz, besonders gut eignen. Der Werkstoff hat sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem uni­versell einsetzbaren Material entwickelt, das nicht nur im Bereich der Architektur und des Möbeldesigns, sondern auch bei zahl­reichen Objekten des täglichen Gebrauchs Verwendung findet.5 Sogar für den Bau von Schiffen und Flugzeugen kann Formsperrholz ge­nutzt werden. Gerade die komplexen Rumpfgeometrien zeugen von der Anwendungsvielfalt und strukturellen Leistungsfähigkeit des Mate­rials.6 Angesichts dieser ausgewiesenen Qualitäten erstaunt es, dass nur wenige Vorschläge für die Konzeption der primären Struktur von Bauwerken vorliegen. Obwohl Formsperrholz durchaus vertraut wirkt, scheint sich das Potenzial, das in diesem Material steckt, im Bereich der Architektur nur selten richtig entfalten zu können.

  1. Zur Tradition des Zimmererhandwerks siehe: Friedrich Ostendorf, Die Geschichte des Dachwerks. Erläutert an einer grossen Anzahl mustergültiger alter Konstruktionen, Leipzig 1908. Siehe auch: Mathias Seraphin, Zur Entstehung des Ingenieurholzbaus. Eine Entwicklungsgeschichte (Dissertation), München 2003. Siehe auch: Klaus Zwerger, Das Holz und seine Verbindungen. Traditionelle Bautechniken in Europa, Japan und China, Basel 2015.

  2. Bezüglich der Entwicklungen in der Schweiz siehe: Helmut Kühne, «70 Jahre geleimte Holz-Tragwerke in der Schweiz», in: Schweizer Ingenieur und Architekt. Nr. 32–33, 1979, S. 577–593. Siehe auch: Charles von Büren, Funktion & Form. Gestaltungsvielfalt im Ingenieur-Holzbau, Basel 1985. Siehe auch: Hermann Blumer, «Das Holz und seine Wege», in: Mario Rinke, Joseph Schwartz (Hg.), Holz: Stoff oder Form. Transformationen einer Konstruktionslogik, Sulgen 2014, 323–337.

  3. Otto Hetzer, Gebogener Holz-Bauteil für vereinigte Dach-Pfosten und -Sparren. Patent Nr. 197773, Deutsches Reich, 22.06.1906. Siehe auch:  Christian Müller, Entwicklung des Holzleimbaues unter besonderer Berücksichtigung der Erfindungen von Otto Hetzer. Ein Beitrag zur Geschichte der Bautechnik (Dissertation), Weimar 1998, S. 28–33. Siehe auch: Andrew McNall, David C. Fischetti, «Glued Laminated Timber», in: Thomas C. Jester (Hg.), Twentieth-Century Building Materials. History and Conservation. Los Angeles 2014, S. 104–110.

  4. Fred Angerer, Bauen mit tragenden Flächen. Konstruktion und Gestaltung, München 1960, S. 7–14. Siehe auch: Aurelio Muttoni, The Art of Structures, Lausanne 2011, S. 87–110, 155–159, 201–213. Siehe auch: Walter Bieler, «Holz erhebt Ansprüche», in: Mario Rinke, Joseph Schwartz (Hg.), Holz: Stoff oder Form. Transformationen einer Konstruktionslogik, Sulgen 2014, S. 69–70.

  5. Christian Cerliani, Thomas Baggenstos, Sperrholzarchitektur, Dietikon 1997. Siehe auch: Thomas C. Jester, «Plywood», in: Thomas C. Jester (Hg.), Twentieth-Century Building Materials. History and Conservation, Los Angeles 2014, S. 100–103. Siehe auch: Christopher Wilk, Plywood. A Material Story, London 2017.

  6. Thomas Doane Perry, Modern Plywood, New York / Chicago 1942. Siehe auch: Eric Schatzberg, Wings of Wood, Wings of Metal. Culture and Technical Choice in American Airplane Materials. 1914–1945. Princeton 1999. Siehe auch: Christopher Wilk, Plywood. A Material Story, London 2017, S. 72–103, 166–173.