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Baugesetze formen – Architektur und Raumplanung in der Schweiz – Verlag gta

Der architecte citoyen

Gregory GrämigerPublikation bestellen

«Sie als Architekt, das sehe ich ein, können die Gesetze nicht ändern. Das kann nur das Volk, wenn es will, wenn es die Notwendigkeit einsieht. Sie als Architekt müssen uns die Notwendigkeit klarmachen. Uns, nämlich den Laien. Und das ist es ja, worauf ich ziele: Ihr könnt gar keinen Städtebau machen, mein Verehrter, ohne uns, ohne die Gemeinschaft der Laien, ohne das Volk, ohne politische Auseinandersetzung, die zum Zielbewusstsein und damit zur Ermächtigung führt.»[i]

Am Bau der Schweiz sind alle beteiligt: Es ist ein Gemeinschaftswerk. Die Raumplanung kann nur durch die aktive Mitwirkung der gesamten Gesellschaft ihren Sinn und Zweck entfalten. Im Sinne einer öffentlichen Baukultur müssen tatsächlich alle Beteiligten «an einem Strick ziehen», wie im Raumkonzept Schweiz erklärt wird.[ii] Zu den Beteiligten gehören wir alle – auch und gerade die Architektinnen und Architekten unter uns. Zu lange haben sie sich aus dem raumplanerischen Diskurs herausgehalten. Zu lange haben sie über die Baugesetze geschimpft, sie aber als gegeben hingenommen, denn sie wollten bauen. Doch Baugesetze sind veränderbar. Wir alle können, ja müssen sie verändern und gestalten. Wir leben in einer Demokratie: Wir alle sind der Gesetzgeber! Wer, wenn nicht Architekten, können Missstände der Baugesetzgebung aufzeigen und verbessern? 

Wenn Architekten in ihren Baugruben nicht ihre Ideale begraben möchten,[iii] müssen sie sich aktiv und als engagierte Bürger, als architecte citoyen, um die Landesplanung und Gesetzgebung kümmern und damit den Auftrag wahrnehmen, der ihnen von der Gesellschaft über­ tragen wurde. Das bedeutet ganz konkret: öffentlichen Einsatz für eine hohe Qualität in der Baukultur, Flagge zeigen und sich einmischen, Reglemente entwerfen, Gesetzeslücken finden, Paragrafen verbiegen, Initiativen lancieren und vor allem: Visionen einer anzustrebenden Zukunft entwickeln und Wege entdecken, wie diese erreicht werden können. Auch wenn wir mittlerweile eine Raumplanung haben, gelten noch immer die Worte von Armin Meili: 

«Jede Generation ist der folgenden Rechenschaft schuldig über das, was sie an Zukunftswerten geschaffen hat. […] Die Raumplanung ist ebenso sehr künstlerisches Ringen nach Vollkommenheit wie die Architektur, ebenso sehr Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wie die Ingenieurskunst und die Volkswirtschaft. Wir müssen uns daher mit schöpferischem Gestaltungswillen an diese großen Zukunftsaufgaben heranwagen. Die Angst vor den Schwierigkeiten, Mühen und Kämpfen darf uns nicht abhalten, Ganzes zu schaffen und damit den Grundstein zu kunstvollen Werken zu legen. Wenn uns das gelingt, werden wir des Dankes unserer Nachfahren sicher sein, des Dankes, den wir gerne unseren Vorfahren zollen würden, wenn sie an Raumplanung gedacht hätten.»[iv]

 

Aufruf

Dem Schreibenden ist durchaus bewusst, dass der hier besprochene Vorschlag zunächst eine Idee bleibt, dass eine Umsetzung schwierig, wenn nicht illusorisch ist, dass eine Revision der Baugesetze Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern wird etc. Und trotzdem: Sollen wir aufgeben, nur weil es schwierig ist? Zudem wird der hier aufgezeigte Ansatz nicht als endgültige Lösung verstanden, sondern als ein erster Versuch, der nicht abgeschlossen, sondern offen ist, ausbaufähig, korrigierbar oder mittels eines Besseren gerne auch ersetzbar. Wer Kritik, Skepsis, Fragen, Anregungen, Ergänzungen oder Bemerkungen hat, soll sie nicht vor sich hinmurren, sondern sie öffentlich kundtun. Beginnen wir eine Diskussion: 

baugesetze-formen.ch


 

[i] Max Frisch: «Der Laie und die Architektur. Ein Funkgespräch», in: ders.: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, 1949-1956, Frankfurt a.M. 1976, S. 283.

[ii][ii] Schweizerischer Bundesrat u.a. (Hg.): Raumkonzept Schweiz, Bern 2012, S. 4.

[iii] Max Frisch 1976, S. 264.

[iv] Armin Meili: Zürich Heute und Morgen. Wille oder Zufall in der baulichen Gestaltung, Zürich 1945, S. 15.