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Baugesetze formen – Architektur und Raumplanung in der Schweiz – Verlag gta

Vorwort

Niemand kann bestreiten, dass die Domäne des Architekten schrumpft. Architektur steckt heute in einer paradoxen Situation: sie ist populärer denn je zuvor und geniesst in den Medien grosse Auf­ merksamkeit, gleichzeitig befindet sie sich in einem Prozess der Auf­lösung.

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Einerseits bemächtigen sich Akteure wie Entwickler, Investoren und Politiker des Mediums Architektur und andererseits entzieht sich ein Grossteil der Bauproduktion zunehmend der Einflussnahme des Architekten. Dabei zeigt sich eine interessante Parallele: Die Auflösung des Fachgebiets geht einher mit der Auflösung der Stadt; die bebaute Umwelt verliert fortwährend an Kontrast und verkommt zum einheit­lichen Siedlungsbrei. 

Was hat zu dieser Situation geführt? In der vorliegenden Forschungs­arbeit stellt Gregory Grämiger fest, dass Baugesetzgebung und Raumpla­nung versagt haben und kommt zum für uns Architekten schmerz­haften Schluss, dass wir dieses Terrain kampflos preisgegeben haben. Er schreibt: 

«Architekten nehmen ihren gesellschaftspolitischen Auftrag nur ungenügend wahr. Sie gaben zugunsten der Überbauung einzelner Parzellen die Bebauung des Landes aus den Händen. Sie haben sich weitgehend aus dem politischen Diskurs und den Disziplinen des Städtebaus und der Raumplanung verabschiedet und überliessen diese Kompetenzen Politikern, Juristen und Raumplanern. Anstatt sich aktiv in den Diskurs der Landesplanung einzubringen und mögliche Siedlungsbilder zu entwickeln, tun Architekten das, was sie am liebsten tun: bauen.»

Als Lehrer mit Einblick in die Architekturausbildung sehe ich mich zu ei­ner Umformulierung dieser Aussage gedrängt. Der Schluss müsste lauten: 

«Anstatt sich aktiv in den Diskurs der Landesplanung einzubrin­gen und mögliche Siedlungsbilder zu entwickeln, tun Architekten das, wozu sie erzogen werden: bauen.» 

Im Kontext der Architekturschule muss «bauen» durch «entwerfen» ersetzt werden. Seien wir doch ehrlich: In der Ausbildung nimmt das Un­heil seinen Lauf. Zu sehr liegt der Fokus auf der ästhetischen Dimension des architektonischen Objekts und zu wenig wird seine Einbindung in den sozioökonomischen, ökologischen und kulturellen Kontext dis­ kutiert. Zu oft werden die Architekturstudenten – in einer einfältigen Fortsetzung der Grundschule – angehalten, klar umrissene Aufgaben zu lösen, anstatt dass sie aufgefordert werden, aktuelle technische und gesellschaftliche Probleme selbst aufzuspüren, zu diskutieren und zu definieren, kurz einen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden, politischen Diskurs zu führen. Eine solche Ausbildung würde helfen, uns Architekten zu einem Umdenken und einem politischen Engagement zu bewegen. Genau dazu ruft uns Gregory Grämiger auf: 

«Wenn Architekten in ihren Baugruben nicht ihre Ideale begraben möchten, müssen sie sich aktiv und als engagierte Bürger, als archi­tecte citoyen, um die Landesplanung und Gesetzgebung kümmern und damit den Auftrag wahrnehmen, der ihnen von der Gesellschaft übertragen wurde. Das bedeutet ganz konkret: öffentlichen Einsatz für eine hohe Qualität in der Baukultur, Flagge zeigen und sich einmischen, Reglemente entwerfen, Gesetzeslücken finden, Paragra­fen verbiegen, Initiativen lancieren und vor allem: Visionen einer anzustrebenden Zukunft entwickeln und Wege aufzeigen, wie diese erreicht werden können.»

Auf der politischen Ebene ist die Dringlichkeit der raumplanerischen Intervention erkannt. Es geht um nichts weniger als den Erhalt einer lebenswerten Umwelt für kommende Generationen. Die vom Volk gut­ geheissene und 2014 in Kraft getretene erste Teilrevision des Raum­planungsgesetzes gibt davon Zeugnis. 

Deshalb ist uns die Auswahl des Forschungsthemas im fünften Zyklus des BSA­Forschungsstipendiums leichtgefallen. Wir alle sind von Bauge­setzen betroffen und erfahren, wie sie unseren Lebensraum formen. Zusätzlich wirken unzählige Normen, die nicht Gegenstand der vorliegen­den Publikation sind, auf die gebaute Umwelt ein. Aktuell erleben wir, wie einerseits die entspannten, Anfang 2015 in Kraft getretenen Brand­schutznormen effizientere Lösungen gerade auch für ein verdichtetes Bauen zulassen, während andererseits die Lärmschutzverordnung mit der Revision der entsprechenden Normen zur neuen Dominante in der architektonischen und städtebaulichen Planung zu werden droht. Vorhandenes Verdichtungspotenzial wird so stark eingeschränkt, wenn nicht gleich wieder vernichtet. 

Die Auswahl des Forschungsthemas drängte sich uns auch darum auf, weil die hier vorgelegte Arbeit einem Auftrag entspricht, dem wir mit unseren BSA-Statuten verpflichtet sind. Dort steht im ersten Artikel geschrieben: 

«Der BSA vereinigt verantwortungsbewusste Architekten, die sich mit der Gestaltung unserer Umwelt kritisch auseinandersetzen und sich mit der Verwirklichung von wertvoller Architektur, Städtebau und Raumplanung befassen. […] Der BSA macht seinen Einfluss auf Öffent­lichkeit und Behörden geltend, indem er seine Anliegen vertritt.» 

Stellen wir uns also diesem Anspruch. Das kann mit der uns Architekten provozierenden Lektüre dieser Publikation beginnen und muss mit dem vom Autor geforderten Handeln seine Fortsetzung finden. Beginnen wir, das Terrain zurückzuerobern!