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offen erschlossen – Ansätze zum Weiterbauen – werk, edition

Vorwort: Hier und jetzt

Thomas Schregenberger

«Es geht nicht darum, das zu suchen, was man will,
sondern das zu wollen, was sich anbietet.»1

Bei «Architektur der Offenheit» denkt man vielleicht zuerst an die visuelle Offenheit der Architektur oder sogar an deren physische «Befreiung»,
an die Stadt Armilla etwa in Die unsichtbaren Städte von Italo Calvino 2, die nur aus sanitären Leitungen besteht und von Nymphen bewohnt
wird. Oder an das Manifest von Yves Klein und Werner Ruhnau3 für eine Luftarchitektur, die aus gläsernen Decken und Fassaden aus Luftvorhängen besteht und die vom patriarchalen System befreite Gesellschaft der Musse zuführt. – Nein, die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich nicht mit wundersamen Erzählungen oder abwegigen Konzepten, sondern mit dem Hier und Jetzt, mit den Aufgaben unserer Zeit. Im Fokus das Weiterbauen und dessen Bedingungen.

Die Forderung nach einer «Architektur der Offenheit» ist auch eine Kritik am aktuellen Architekturschaffen. Dessen Werke sind oft selbstzent­riert und abgeschlossen im Sinne des Prozesses: beendet, komplett. Ziel einer solchen Architektur ist die Erschaffung eines vollendeten Ganzen, das eine spätere Optimierung oder Ergänzung weder mitdenkt noch wirklich ermöglicht. Ganz im Gegenteil, es wird befürchtet, dass dadurch die Konzeptidee des Gebauten sogar gefährdet werden kann.

Welche Qualitäten braucht eine Architektur, die weitergebaut, ergänzt oder aufgestockt werden kann? Das britische Architektenpaar Alison
und Peter Smithson spricht in diesem Zusammenhang von der «gotischen Ordnung», die im Gegensatz zur Ordnung der Form in der Renaissance eine Ordnung lebendiger Arrangements war. In ihrem Buch Italienische Gedanken, weitergedacht4 schreiben sie: «Die Strasse wurde zum Begehen genutzt, der Markt zum Abhalten eines Marktes, die Tenne zum Dre­ schen», «sie besassen die Fähigkeit, den sie umgebenden Raum mit einer Energie aufzuladen, die sich mit anderen Energien verbinden konnte. Dadurch wurde die Natur künftiger Dinge beeinflusst, und kommende Ereignisse wurden vorweggenommen. Gebäude und Aussenraum wurden auf diese Weise füreinander selbstverständlich. Sie benötigten nur
noch eine Aktivität, um das Gefühl einer Einheit zu vervollständigen.»

Gebäude in einer «konglomeraten Ordnung»5, wie die Smithsons sie nennen, sind Zusammenballungen von Teilen, ein Gewebe, das sich nicht auf ein einfaches geometrisches Schema reduzieren lässt und dieses auch nicht braucht. Die konglomerate Ordnung ist einem Realismus ver­pflichtet und relativiert das Objekthafte der Architektur. Anstelle einer geometrischen Ordnung gehen die Gebäude und ihre Teile Beziehungen ein und sind daher nie fertig gebaut. Alison und Peter Smithson sprechen in ihren Italienischen Gedanken von absorptionsfähigen Stadträumen, von der bindenden Kraft der Zwischenräume. Und sie fordern eine veränderte Denkweise weg vom reinen Gebäude hin zur gebauten Situation.

Die Disziplin der Architektur steht zurzeit inmitten eines der grössten Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte. Das nachhaltige Bauen selbst bedeutet immer weniger die Optimierung der Betriebsenergie als vielmehr komplexe Fragen zum Weiterbauen, zum Umbauen und Ergänzen bestehender Gebäude. Im 2023 erschienenen Büchlein werk, Debatte, 10 Texte zum Bauen im Klimawandel sagt Astrid Staufer: Wir müssen weg vom Tabula­-Rasa­-Prinzip, von Standardlösungen und dem Perfektionismus und uns überlegen, was wir mit dem tun können, was wir haben: Bestand umbauen und erweitern. Es gehe darum, neue Bilder zu entwerfen für eine neue Ästhetik: Wir müssen Widersprüchli­ ches zusammenbringen und neue Sehgewohnheiten entwickeln.6

Die hier vorliegende Publikation von Oliver Burch, Jakob Junghanss und Lukas Ryffel leistet dazu einen wertvollen Beitrag.

 

Thomas Schregenberger
Mitglied des BSA­-Begleitgremiums

 

1 Karel Reisz in: Claude Lichtenstein / Thomas Schregenberger (Hg.), As Found, die Entdeckung des Gewöhnlichen, Zürich 2001, S. 39.

2 Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte, München 1977.

3 Yves Klein, Werner Ruhnau, Projekt einer Luftarchitektur, in Ulrich Conrads (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, Basel 1975, S. 164.

4 Alison und Peter Smithson, Italienische Gedanken, weitergedacht,
Basel 2001, S. 82.

5 Alison und Peter Smithson, Italienische Gedanken, Basel 2000, S. 110.

6 Astrid Staufer, werk, Debatte, 10 Texte zum Bauen im Klimawandel, Zürich 2023, S. 71 ff.